Hilft es zu fragen, wie Lerner lernen wollen? Und – Die neuen Lerner sind auch super Verlerner

Dieser Artikel ist zuerst erschienen unter: Elevation Labs – Impulse

Und entstand im Rahmen des Corporate Learning 2025 MOOCs im Jahr 2017.

Quelle: http://disq.us/p/1jxj6t0

Ich möchte heute einmal eine vielleicht etwas freche Frage stellen bzw. einen überspitzten, kritischen Impuls liefern.

Wenn man einen Blinden fragt, ob er Bild A oder Bild B schöner findet, damit man danach weiß, welches Bild man öfter drucken lassen soll, kann bzw. sollte man dann mit der Aussage des Blinden etwas anfangen?

Nichts gegen Design Thinking und Personas. Tolle Methoden oder besser Mindsets, die diesen zugrunde liegen und die ich wirklich gerne verwende. Nur bin ich mir nicht sicher, ob diese im Kontext der Befragung von „Lernern“ in Organisationen hilfreich sind, um seine Personalentwicklungs-Aktionen danach auszurichten. Hätte man einen Kutscher früher gefragt, was er gerne verbessern würde, dann wäre das wahrscheinlich etwas gewesen wie, „die Pferde sollten weniger schlafen“, oder „wir benötigen eine Vorrichtung, um noch mehr Pferde einspannen zu können, um größere Kutschen zu ziehen“, oder „ich bräuchte eine bequemere Sitzbank“…

Hypothese: Ich bezweifle oder stelle zur Diskussion, dass wenn man Menschen in Organisationen fragt, ob sie sich ihr Lernen selbst gestalten wollen, diese aber ihr Leben lang gelernt haben (ACHTUNG Übertreibung und Ausnahmen bestätigen die Regel), dass „Lernen“ eine passive und langweilige Sache ist, die sie serviert bekommen und sich dabei zurücklehnen können, ob diese dann auf einmal lieber selbstgesteuert lernen möchten.

Das wäre für mich so, als würde ich gerne nach Rom reißen. Es gibt 2 Wege. Der eine ist über die Autobahn im Bus und der andere ist über teilweise unbefestigte, für einen selbst schwer ersichtliche Wege zu Fuß. Was würde ich da wohl antworten… (Naja, ich persönlich würde, wenn ich den Raum (Zeit + Geld) dafür hätte, auch gerne mal laufen. Aber meistens doch eher mit dem Bus fahren).
Zudem arbeiten diese Menschen zumeist noch in Umfeldern, in denen Zertifikate, also Papier-Status-Symbole, „guck mal, ich bin wichtig, ich wurde von meiner Firma auf Schulung X geschickt und bin jetzt chief master xy“, noch eine hohe Bedeutung haben. In diesen Organisationen gibt es auch noch die klassischen Silos und zwar nicht nur zwischen den Fachabteilungen, sondern auch zwischen Arbeiten und Lernen. Zudem kommt noch hinzu, dass „echtes“ Lernen auch etwas mit Raum zu tun hat, in dem man Fehler machen darf. Mal Hand aufs Herz, das ist in unserem Kulturkreis doch noch oft eher ein no go, welches wir die letzten Jahrzehnte so vorgelebt bekommen und verinnerlicht haben. Also zumindest bei mir selbst kann ich dies so bestätigen. Außerdem mögen die Menschen Präsenztrainings, da man dabei mal aus dem Alltag heraus kommt und neue Leute kennenlernt. Was für mich alleine schon ein Präsenztraining sinnvoll erscheinen lässt, wenn man an das Thema Komplexität und Vernetzungsdichte denkt, aber das mit einem anderen Fokus.
Ich finde die ganzen Diskussionen hier (Corporate Learning MOOC) wirklich toll und sehr bereichernd, auch wenn ich leider nur einen Bruchteil davon mitbekomme.

Aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass wir oft über Maßnahmen und Methoden sprechen, wie das beim Lean Management Boom auch so war und trauen uns nicht, an das echte Thema heran. Kultur – Unternehmenskultur, Führungskultur, Lernkultur,… Beim Lean Boom wurden alle Methoden eingeführt, ohne das Essenzielle, die Kultur dahinter (siehe Kata-Coaching), anzugehen. Oft war das Ergebnis dann nicht so wie erhofft und viele fragen sich immer noch warum… Kulturmuster, die sich in Leitblanken / dem Rahmen entwickeln, das ist für mich das eigentliche Thema. Solange wir nicht hier ansetzen, habe ich das Gefühl, dass wir zwar mit viel Leidenschaft, Energie und tollen Ideen am Werk sind, aber dies nicht zur gewünschten Vision führen wird. Wir reden auch hier viel über Lernen als „abgetrennte Einheit“ auch wenn angrenzend immer wieder andere Themen wie Führung mit eingebracht werden. Aber der Schuh wird in Zukunft überall drücken. Eine Transformation steht uns ins Haus, die eine ganzheitliche, integrale Sicht bedarf.
Es ist natürlich verständlich, dass wir, die auch Teil des momentan noch vorherrschenden Systems sind, lieber darüber sprechen, wie wir die Menschen durch geschickte Interventionen zu „Super-Lernern“ machen können. Ich glaube aber, dass das nicht geht. Oder zumindest nicht mit den „direkteren“ Interventionen, über die wir gerne reden, da sie greifbarer sind, und wir danach evtl. leichter etwas bei der Einzelperson messen können. Der gefühlte Rechtfertigungsdruck von HR ist, glaube ich, auch noch zu hoch… Ich finde, wir sollten weiter unten, tiefer ansetzen und uns viel stärker über indirekte Interventionsversuche unterhalten. Kultur ist ja auch eine indirekte Variable. So „leicht“ ich das hier schreiben kann, so diametral schwer / komplex ist dies in der Realität. Denn solche Veränderungen brauchen Zeit und können nicht mit den oftmals geforderten Quartalszahlen gemessen werden. Und wenn man wirklich anfängt, mehr den Rahmen zu betrachten, als zu versuchen einzelne Individuen zu „erleuchten“, dass sie ab jetzt doch total toll selbstmotiviert lernen „dürfen“, dann machen wir ein großes Fass auf, was sich glaube ich niemand traut. Dann geht es an alles, was HR die letzten Jahren aufgebaut hat. 360 Grad Feedback-/Kompetenzmodelle, Vergütungs- und Arbeitszeitmodelle, Talent Management Prozesse mit vordefinierten Karrierepfaden, Hierarchien, Lernplattformen / Lernsilos,…
Ich nehme mir hier einfach mal heraus, dies alles in Frage zu stellen, da ich dies alles selbst noch bis vor ca. 2-3 Jahren für super toll gehalten habe. Professionelles Managen der Entwicklung von Mensch und Organisation. Ich komme aus der IT und hatte dadurch immer das Gefühl, dass wenn man Prozesse und Strukturen bildet, dass dies die beste Option ist für eine kontinuierlich positive, zielgerichtete Entwicklung. Mittlerweile glaube ich nicht mehr daran, dass dies funktioniert. Im Gegenteil. Wir erzeugen dadurch eine immer größer werdende Entropie. Immer mehr Prozesse und Systeme helfen in unserem Kontext nicht mehr dabei, ein Unternehmen steuerbar zu halten. Sie lähmen es immer mehr. In diesen Denkmustern heißt es noch: das war es mit der Eigenverantwortung, Engagement und kreativen Ideen. Funktionieren nach Prozess ist angesagt. Zitat aus meiner Praxis: „Dein Gehirn gibst du besser am Tor ab und holst es, wenn du das Werk wieder verlässt.“ Eine Zeit des Loslassens und des „Verlernens“ bricht an. In der wir nicht alles planen, steuern, vorgeben,… können. In der wir uns mehr darauf konzentrieren sollten den passenden Rahmen zu bilden, in dem sich die in dem System teilhabenden Individuen (Variablen) selbst organisieren können, ohne dass wir versuchen, mit Maßnahmen auf diese direkt einzuwirken. In denen es Raum für Entwicklung gibt, da nicht alle ständig damit beschäftigt sind, die vorhandenen Strukturen zu bedienen, um diese am Laufen zu halten… Wie schwierig es ist, das bekannte und gewohnte Muster loslassen zu können, soll das folgende Beispiel aufzeigen.

Denken wir noch einmal kurz an z.B. Postkutschen- und Railwayunternehmen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Diese waren mit Sicherheit mal die Giganten unter den Konzern in deren Zeit. Gibt es diese noch? Wird es noch einen Daimler und BMW (inkl. der Zulieferer) geben, wenn Autos mal passé sind? Daimler hat die Postkutschenfirmen „disrupted“. Nun stehen neue Daimler wie Tesla da und disrupten den Daimler… Firmen wie Polaroid, Blackberry und Nokia sollten uns allen sehr strak zu denken geben.
Was führt immer wieder dazu, dass ehemalige Weltmarktführer von der Bildfläche verschwinden? Ich glaube, was diese nicht geschafft haben ist, Dinge auch wieder verlernen zu können, um Raum für Neues zu schaffen. Sie wollten das Alte behalten und haben ein paar neue Strukturen, Produktfunktionen oder Methoden wie jetzt gerade Design Thinking, Value Proposition Design oder Ähnliches hinzugefügt. Also noch mehr Entropie erzeugt… Starre ist der Tod jedes komplexen Systems.

HR sollte deshalb aus meiner Sicht auch sehr stark darauf schauen, wie es dabei unterstützen kann, das bis jetzt Erlernte kritisch zu hinterfragen und vor allem das „Verlernen“ der mittlerweile teilweise ungünstigen Verhaltensmuster zu unterstützen, in dem sie den Nährboden für diese Muster „zerstören“.
HR sollte dabei versuchen, das, was unter dem Klammerbegriff NewWork subsummiert wird, an sich selbst zu testen, Fehler zu machen, es zu (er)leben, Erfahrungen damit zu sammeln, um es vorleben zu können. Sonst wird HR immer mehr wie viele externe Beratungen, die Thema A oder B propagieren, aber diese nicht selbst bei sich anwenden… was dazu führt, dass man Konzepte und Methoden einführt, die dann nicht funktionieren, oder nur mit viel Aufwand, was das System weiter erstarren lässt.

Ich bin der Überzeugung, dass Organisationen dabei noch stärker auf Startups gucken sollten, um zu lernen, wie dort gearbeitet, gelernt und Neues entwickelt wird. Dort gibt es noch viele, „freie radikale“, die unvorbelastet Neues erschaffen. Natürlich werden sich auch in deren Vorhaben auf Dauer mehr Prozesse und Strukturen bilden. Es bleibt nur die Frage, in welchem Ausmaß

Abschließend möchte ich hier noch einen Artikel und ein Video einfügen, die für mich vieles, was teilweise noch lose und unverknüpft in meinem Kopf „herumgeflogen“ ist, und mit zu diesem wieder einmal viel zu langen Beitrag geführt hat, miteinander verbunden haben.

http://www.zukunftsinstitut.de/artikel/digitalisierung/mind-the-future-das-digitale-jetzt/

[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=a6fpg8gGdQM[/embedyt]