Oder warum klappt das oft nicht mit dem kollaborativen Arbeiten und Lernen?
Verfasst wurde der Artikel 2017 von Jan Foelsing. 2023 wurde der Artikel, ohne Hilfe von ChatGPT und Co., minimal upgedatet.
Im Rahmen des MOOCathon (2017) – Corporate Learning 2025 (#cl2025) wurde von Bosch eine Grafik eingebracht, die zeigt, was Bosch im Rahmen von „digital collaboration“ für wichtig erachtet.
Wie ich finde eine wirklich gelungene Aufzählung mit wichtigen Stellschrauben, um das Thema NewWork / Arbeiten 4.0 nicht nur digital zu unterstützen.
Ich würde aus der Grafik gerne einen Aspekt noch einmal besonders beleuchten, da ich ihn für zentral erachte. Und zwar den Punkt Anerkennung oder auch Wertschätzung. Ohne diese, ist der Rest m. E. einfach nur eine schöne Idee. Wie ein Leitbild, welches einmal erarbeitet und dann in der Eingangshalle aufgehängt wurde. Hierbei ist auch mehr der Wunsch der Vater des Gedankens, dass dieses Leitbild Einfluss auf die Unternehmenskultur hat…
Warum engagieren sich Menschen in Netzwerken? Warum funktionieren einige Communitys gut, aber die meisten eher weniger gut?
Im Privaten funktionieren diese aus meiner Sicht tendenziell besser, da man sich an einem selbst gewählten Thema, für welches man eine Leidenschaft besitzt, beteiligt. Dort ist man unter „Gleichgesinnten“, fühlt sich verstanden und erhält Wertschätzung durch die Community. Falls dies nicht der Fall ist, wird das Netzwerk sehr schnell wieder in sich zusammenfallen. Im deutschsprachigen Raum gibt es bspw. so viele Vereine wie sonst nirgends, global.
Ein Blick auf private Freunde-Communitys:
Ich durfte bis jetzt in 3 Städten in Deutschland leben und bin dadurch in mind. 4-5 Whatsapp- und Telegram-Gruppen. Diese setzen sich zwar aus Freunden zusammen, die aber oftmals ganz unterschiedliche oder lediglich ein paar sich überschneidende Interessen haben.
Ich habe dabei beobachtet, dass in diesem Kontext die Community nur „funktioniert“, wenn man es schafft, mit einem Beitrag eine kritische Masse an Gruppenmitgliedern von sagen wir einmal 30-50% anzusprechen. Also deren Bedürfnis bzw. deren Leidenschaft in dem jeweiligen Augenblick zu treffen. Wenn dies einmal klappt, folgt der Rest einfach. Ich glaube, man fühlt sich ab einer kritischen Masse „sozial verpflichtet“ ebenfalls zu reagieren.
Bei so kleinen und heterogenen Gruppen ist dies äußerst schwierig. Zumeist sind diese Gruppenchats eher selten aktiv. Außer, man findet sich zu einer gemeinsamen Aktion zusammen. Leichter ist es aus meiner Sicht bei themenfokussierten Communitys mit einer hohen Anzahl an Teilgebenden. In diesem Kontext sollte es leichter fallen, stabile und aktive Communitys zu erzeugen.
„Resonanz im System zu erzeugen ist, in einer Zeit der „Reiz- und Inhaltsüberflutung“, gar nicht mehr so einfach…“
Wenn jemand mehrfach Beiträge für die Community leistet, auf die nicht reagiert wird, dann wird diese Person auf Dauer ihr Engagement einstellen, da die Wertschätzung fehlt. Dabei reicht bereits ein Smiley, LOL, oder der Gleichen zumeist schon aus, da unser Gehirn sofort anfängt, Dopamin auszuschütten. Was uns ein gutes Gefühl gibt. Falls dies nicht geschieht, verfällt man relativ schnell in einen passiven Reagieren-Modus. Eine Überflutung mit Reizen, wie z.B. durch zu viele offene Tätigkeiten, Druck oder Stress, kann diesen Effekt schnell verstärken.
Wenig Wertschätzung, mehr passives reagieren gepaart mit einer zu vollen To-do-Liste ist aus meiner Sicht nicht wirklich ungewöhnlich in unserem wirtschaftlichen Kontext. Hierin stecken einige Stellschrauben, die für den Aufbau von Communitys hinderlich oder förderlich sein können. Wie z.B. das Entlohnungs- und Bonussystem in Organisationen. Communitys sind nun mal soziale Systeme, in denen ein hohes Maß an Wechselwirkung herrscht, die stark durch die vorherrschenden Prozesse und Strukturen beeinflusst werden.
Hypothese: „Der ganzheitlich betrachtete, organisationale Rahmen, in welchem sich die Unternehmenskultur entwickelt, macht einen großen Teil dabei aus, ob Communitys in Unternehmen Mehrwerte stiften können.“
Deswegen reicht es nicht aus, einfach mal ein Tool einzuführen und dann, selbst unter großen Anstrengungen (Maßnahmen, Interventionen), zu hoffen, dass sich darin langfristig funktionierende Communitys bilden. Wenn der Rahmen, also die Prozesse, Strukturen und Führungskultur dies nicht unterstützen, kann ein Tool dabei nur selten helfen. Im Gegenteil, es kann regelrecht zur Abstoßung des Neuen durch das System kommen.
Wertschätzung ist etwas, was kulturell gewünscht und unterstützt werden muss, sonst findet es nicht statt. Die schwäbische Kultur ist hier evtl. ein passendes Beispiel. Wenn es heißt: „Nicht geschwätzt, ist gelobt genug“, dann wird in diesem Kontext der Aufbau von Communitys bereits durch diesen kulturellen Aspekt erschwert.
Wertschätzung ein Feldversuch
Ich habe das Thema Wertschätzung einmal etwas am lebenden Objekt getestet (aber bitte nicht meinen Freunden erzählen! :D).
Sagen wir es gibt 2-3 Personen, die öfter Beiträge wie Links, oder Fragen teilen. Wird eine dieser Personen regelmäßig wertgeschätzt und die anderen nicht, dann ist es wahrscheinlicher, dass die wertgeschätzte Person weitere Inhalte einstellen wird. Möglicherweise sogar öfter als zuvor. Die Anderen werden dies dagegen weniger tun. So zumindest meine Beobachtung.
Die 90/9/1-Regel:
Besonders wenn Communitys noch klein sind, und es nicht genügend Personen gibt, die zu den im Schnitt 1% der wirklich aktiven Contenterstellenden und Teilgebenden gehören, sondern mehr zu den 90% der Menschen, die im digitalen Netz rein konsumieren, ohne sich dabei aktiv einzubringen, gibt es nicht genügend Personen, die dem 1% die Wertschätzung entgegenbringen, die diese sich wünschen. Es gilt in Communitys aus meiner Sicht also nicht nur von den 90% einige zu aktivieren, um die 9% der teilweise aktiven etwas auszubauen, sondern auch die 1% der aktiven und die 9% der teilweise aktiven wertzuschätzen, um sie nicht zu „vergraulen“ (siehe 90/9/1 Regel des Internets: https://de.wikipedia.org/wiki/Ein-Prozent-Regel_%28Internet%29).
Im Arbeitskontext ist es allerdings, wie bereits angedeutet, noch viel schwieriger Communitys, die von alleine funktionieren, zu etablieren. Die vorherrschende Unternehmenskultur beeinflusst dies entscheidend. Zurzeit sehen viele Menschen, systembedingt, ohne eigenes Verschulden, Arbeit nur noch als notwendiges „Übel“ an. Dadurch verspüren diese natürlich auch keine positiven Emotionen, keine Leidenschaft für die Themen im Arbeitskontext. Falls zudem ein organisationaler Rahmen vorherrschend ist, bei dem es mehr um Controlling, Steuerung, Befehlsketten, Funktionieren (am besten wie eine Maschine) geht, wird das Bilden von Communitys, zumindest aus meiner Sicht, so gut wie unmöglich sein. Besonders dann, wenn der Austausch nicht als „Arbeit“ angesehen wird, sondern als „Störung“ in der möglichst effizienten (nicht effektiven!) Abarbeitung vordefinierter Prozesse.
„Was machst du da? Filmchen gucken? Mit den Kollegen chatten? Dein Leben will ich haben! Hast du nichts anderes zu tun?“
In einer solchen Kultur, die, wie ich glaube systembedingt, in den meisten Firmen in Deutschland noch dominant ist, können Communitys höchstens in kleinen Teilbereichen funktionieren. Dort wo es eine Führungskraft geschafft hat, ihre eigene kleine Subkultur zu kreieren… Oftmals passiert dies zuerst im IT-Bereich, da dort der Druck sich stetig weiterzuentwickeln kontextbedingt am höchstens ist. Peer Learning Prozesse sind zudem auch viel schneller und effektiver als klassische Trainingsmaßnahmen
Wie oft habe ich schon gehört: „Ja, diese Chats sind doch wie Foren, das haben wir schon einmal probiert, aber keiner hat mitgemacht.“ Und zumeist noch im gleichen Atemzug: „Ja, dieser Austausch ist ja bestimmt ganz gut, doch wie kann ich nun messen, wie sich die Kompetenzen dadurch verbessert haben, oder sehen, ob die Mitarbeiter das Video auch angeschaut haben? Und wie kann ich verhindern, dass dort zu viele Privatnachrichten und andere Inhalte geteilt werden?“…
Communitys haben in den so ausgeprägten Kulturen auch kein wirkliches „Standing“. Man macht sie halt mal „auf“, weil man gelesen hat, dass das gut für die Innovationskraft wäre. Aber eine besonders beim Start so wichtige Betreuung und Hilfe der Community-Mitglieder bleibt dabei oftmals aus. „Dafür haben wir keine Ressourcen / keine Zeit…„.
Hypothese: So klappt‘s leider nicht mit dem Nachbarn äh, aktiven Netzwerken.
„New Work“ (der passende Nährboden) bedeutet also nicht freies Mittagessen, Flex-Office, Tischkicker oder zwei Hierarchie-Stufen zu streichen, sondern eine ganzheitliche Transformation von Organisationen, ohne diese, das Bilden von Communitys in z.B. Social Collaboration Tools wie MS Teams, SAP Jam, Stackfield, Yammer, Asana,… eine sehr herausfordernde Aufgabe sein wird.
Wenn aber auch der organisationale und kulturelle Rahmen solche neuen Collaboration Tools unterstützt, wird man erleben, was für fantastische Dynamiken in solchen Systemen entstehen können. Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass man jetzt sagen sollte: „Ok, wir müssen erst unsere Kultur verändern, um dann die digitalen Helfer zu implementieren.“ Denn die neuen, auf Zusammenarbeit ausgelegten Tools dienen auch gleichzeitig als Rahmengeber, als eine Variable im System, welche Einfluss auf die Kultur haben kann. Man sollte sich jedoch nicht der Illusion hingeben, dass man ein solches Tool einfach mal zur Verfügung stellt und dann sofort 80% Juhuuu schreien und die Option aktiv nutzen. Es darf nicht vergessen werden, dass wir Menschen Gewohnheitstiere sind und in den letzten Jahrzehnten im Arbeitskontext darauf getrimmt wurden, möglichst nicht selbstständig zu denken, sondern die Prozesse, wie gewohnt, bestmöglich abzuarbeiten. Mühsam muss sich das Eichhörnchen im Community-Bereich ernähren, bevor mal eine dicke Ernte ansteht… Wenn 20-30% der Belegschaft ein solches Tool zum Start annehmen würden, würde ich dies bereits als gelungenen Start bezeichnen.
Aber Vorsicht! Das althergebrachte Bauen von bspw. Community-Freigabe-Prozessen, oder Prozessen, die eine Nutzung im Prinzip verpflichtend machen, helfen hier nicht. Im Gegenteil!
Klar, KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) darf / soll / muss man schon lange machen. Hat aber oft ja auch nicht wirklich funktioniert, da man dafür auch wieder eine Kultur des ständigen Lernens und genauso Verlernens!!! benötigt… Zudem wird dabei oftmals nur an der Effizienz gedreht. Aber ob der ganze Prozess überhaupt noch sinnvoll ist, wird hierbei eher selten betrachtet. Bestes Beispiel ist hier aus meiner Sicht Lean Management. Da steckt so viel Potenzial drin… auch im Hinblick auf das Fabelwesen der Lernenden Organisation, doch die wenigsten Organisationen haben es geschafft dieses zu nutzen. Positive Beispiele sind m.E. Festo, Porsche und Festool.
Bei den meisten Firmen waren viele Jahre Berater im Haus, die das Thema zum „Fliegen“ bringen sollten, aber ohne sich darüber Gedanken zu machen, welcher Kultur diese Methoden bedürfen und wie die Führungskräfte dies, z.B. mittels Kata-Coaching, zum Leben erwecken müssen… Prozesse und Strukturen sind hier klar zu kurz gegriffen. Wenn es natürlich auch einfacher ist, rein an Prozessen zu arbeiten, als ganzheitlich an der Kultur, da diese oftmals etwas nebulös erscheint, schwer greifbar und „manipulierbar“ ist… Da kann man sich als z.B. externer Berater schnell die Finger dran verbrennen, da auch die internen, politischen Gegebenheiten hier mit hineinspielen. Komplexe Systeme mit Wechselwirkungen eben… Prozesse und Strukturen darüber kann man leichter sprechen und diese lassen sich auch viel leichter verändern… Doch Menschen erwecken diese „zum Leben“. Dies ist vielen dann aber doch noch etwas zu komplex und heikel.
Als essenziell erachte ich für den Start von Communitys z.B. in einem ESN (Enterprise Social Network) gute „Community Hebammen“, die die „Early Adopter“ wertschätzen und ihnen die Anerkennung geben, die sie auch verdient haben.
Vielleicht würde ein „Community Heros Award“ hierbei auch helfen.
Zusatz:
Was mir beim Schreiben noch aufgefallen ist, ist, dass die Zeiten der „leichten“ Lösungen wohl immer mehr vorbei sind. Prozesse und Strukturen sind im Vergleich zu Communitys, Netzwerken, Unternehmenskulturen so etwas wie Kindergarten vs. Forschungszentrum. Das Schöne daran aus meiner Sicht als externer Unterstützer von Unternehmen ist, dass bei diesen Themen externe Helfer, vielleicht zum ersten Mal, wirklich notwendig und hilfreich sein können, da sie noch nicht vom System „absorbiert“ wurden. Dadurch lassen sich kulturelle Wirkzusammenhänge besser erkennen. Eine systemische Ausbildung erachte ich dafür als sehr wichtig, um die richtige Haltung zu entwickeln sowie sinnvolle Techniken für komplexe Systeme zu kennen. Mit fertigen Lösungen um die Ecke zu kommen, kann hierbei nicht mehr funktionieren und auch die zugekauften, externen Ressourcen wie Berater:innen werden Fehler in den Transformationsprozessen machen. Hierfür ist auch ein Umdenken auf Dienstleister- und Klientenseite wichtig, sonst erhält man wieder nur klassische Consultants, die sich auf Analysen und dann neue Prozesse und Strukturen stürzen, da sie hierbei am ehesten die richtigen Kniffe kennen und sich damit auch wirklich gut und lange in ein Unternehmen graben können, was zuträglich für die eigene Karriere und das Portemonnaie ist. Wirkliche Mehrwerte für die Klienten können dadurch, glaube ich, nicht mehr erzielt werden. Auch dieses System befindet sich also im Umbruch und wird dabei mehr zu einer „Solution Development Community“!?? Spannende Zeiten! 🙂